Lebenswissenschaften

Deutschland engagiert sich in weitaus größerem Maße im Krieg in der Ukraine, als die Diskussion zu den 14 Leopard-2 Panzern vermuten lässt. Ohne dass auch nur einmal nach der Perspektive gefragt wurde, werden mehr als 200 deutsche Großwaffen mit Munition für die Ukraine bereitgestellt. Gleichzeitig betreibt die Bundeswehr im Auftrag der Bundesregierung 35 km von der Ukraine entfernt ein Servicezentrum für Großwaffen in der Slowakei. Man kann die Frage nach der Friedensperspektive dieser (und zu erwartender weiterer) Waffenlieferungen stellen, ohne die Position Putins zu übernehmen. Nachdem Frau Merkel im Dezember 2022 ausgeführt hat, dass das Friedensabkommen 2014 von Minsk nur dazu diente, der Ukraine Zeit für eine Aufrüstung zu verschaffen, stellt sich die Frage nach der Perspektive für ein Ende des Leids umso mehr. Es sollte auch nicht unter den Tisch fallen, dass die wohlfeilen Worte westlicher Experten zu Freiheit, Gerechtigkeit und dem richtigen Zeitpunkt für den Einstieg in Verhandlungen das fortdauernde Opfer der Bewohner dieser Gebiete (und der Soldaten dort) beinhalten.

Ein Gastbeitrag von Johannes Kreis
mit freundlicher Genehmigung, vielen Dank!

In der modernen Forschung erforschen wir auf der molekularen Ebene den Ursprung des Lebens und streiten über das Signifikanzniveau von medizinischen Studien. Gleichzeitig werden in der Ukraine einige Millionen Artilleriegranaten verschossen und viele Menschen, Soldaten und Bewohner, sterben oder werden schwer verletzt.

In einem Krieg gibt es keine Gewinner und den Bewohnern in der Region ist es egal, von wem die Granate verschossen wurde, die in das Haus eingeschlagen ist. Nach fast einem Jahr Krieg in der Ukraine kommen in den deutschen Mainstream-Medien, insbesondere dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, weiterhin nur diejenigen zu Wort, deren Glaubensbekenntnis mehr Waffen und noch mehr Waffen ist. Jedoch, schon jetzt geht es um deutlich mehr Waffen, Munition und Ausrüstung als die Diskussion zu den 14 Leopard-2 Panzern vermuten lässt. Wo ist die Diskussion zu der Perspektive?

Gemäß der für das Militär so kennzeichnenden, eiskalten Logik des Kriegs ist die Nachrichtenlage unübersichtlich und geprägt von taktischen Überlegungen und operativen Zielen der Kombattanten. Aber es gibt einige Punkte, zu denen einigermaßen gesicherte Aussagen möglich sind.

Was man mit Sicherheit sagen kann ist, dass dies kein Feldgeplänkel ist, sondern das ist ein echter Krieg. Die derzeitigen Schlachten in der Ukraine, geprägt von taktischen Offensiven von beiden Seiten, stehen den Schlachten des 2. Weltkrieges an Härte und Brutalität in nichts nach. Vgl. dazu der Chef des Generalstabes der USA, General Mark Milley, im November 2022,

● “Ukraine war: US estimates 200,000 military casualties on all sides”, BBC, 10 November 2022, https://www.bbc.com/news/world-europe-63580372

The most senior US general estimates that around 100,000 Russian and 100,000 Ukrainian soldiers have been killed or injured in the war in Ukraine.

Gen Mark Milley, chairman of the US Joint Chiefs of Staff, also suggested that around 40,000 civilians had died after being caught up in the conflict.”

Neuere Zahlen zu Gefallenen, Verletzten und zivilen Opfern von Ende Januar 2023 sind noch einmal deutlich höher, aber nicht zu verifizieren.

In Deutschland beschränken wir uns derweil auf die Feststellung, dass Russland angefangen hat. Nach 3 Jahren des medialen COVID -Lockdown-Maßnahmen-Impf-Debakels ist klar, dass von den deutschen Eliten, einschließlich der Kirchen und des Deutschen Ethikrates, nicht mehr zu erwarten ist.

Fest steht, dass Deutschland unter anderem die folgenden Waffen und Waffensysteme an die ukrainische Armee geliefert hat oder liefern wird,

88 Leopard-1 Panzer
37 Flakpanzer GEPARD
40 Schützenpanzer MARDER mit Munition
5 Mehrfachraketenwerfer MARS II mit Munition
14 Panzerhaubitzen 2000
14 Leopard-2A6 Panzer mit Munition
18 Radhaubitzen RCH 155
16 Panzerhaubitzen Zuzana 2
20 Raketenwerfer 70mm auf Pick-up Trucks mit Raketen
60.000 Schuss Munition 40mm Granatwerfer
18.500 Schuss 155 mm Artilleriemunition
30 MG3 für Bergepanzer
54 M113 gepanzerte Truppentransporter mit Bewaffnung
53.000 Schuss Flakpanzermunition
3.000 Patronen „Panzerfaust 3“ zuzüglich 900 Griffstücke
500 Fliegerabwehrraketen STINGER
2.700 Fliegerfäuste STRELA
22 Millionen Schuss Handwaffenmunition
50 Bunkerfäuste
7.944 Panzerabwehrhandwaffen RGW 90 Matador
100 Maschinengewehre MG3 mit 500 Ersatzrohren und Verschlüssen
100.000 Handgranaten
5.300 Sprengladungen
100.000 Meter Sprengschnur und 100.000 Sprengkapseln
350.000 Zünder
1.020 Schuss Artilleriemunition 155 mm
156.000 Schuss Munition 40mm Granatwerfer
5.032 Panzerabwehrhandwaffen

Dazu kommen weitere Systeme und Geräte, z.B. Luftverteidigungssysteme Iris-T SLM und PATRIOT, Artillerieortungsradar COBRA, Bergepanzer, Brückenlegepanzer, Aufklärungsdrohnen, Minenräumgeräte, Funkausrüstung, Zugmaschinen, Störsender, mobile Bodenradare und Wärmebildgeräte und weitere Ausrüstung.

Vgl.

● „Militärische Unterstützungsleistungen für die Ukraine“, Bundesregierung, 27. Januar 2023, https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/krieg-in-der-ukraine/lieferungen-ukraine-2054514

Es scheint, dass die Bunderegierung Waffenlieferungen, die nicht aus Bundeswehrbeständen kommen, sondern aus Unternehmensbeständen, nicht auf der Webseite erfasst.

● Nicolas Camut, “Germany to send 88 Leopard I tanks to Ukraine”, politico, Feb 3, 2023, https://www.politico.eu/article/germany-send-leopard-tanks-ukraine-russia-war-rheinmetall/

● „Aus Beständen der Industrie – Bundesregierung genehmigt Ausfuhr von Leopard-1-Panzern“, SPON, 03.02.2023, https://www.spiegel.de/politik/bundesregierung-erteilt-genehmigung-zur-ausfuhr-von-leopard-1-panzern-in-die-ukraine-a-a7b78a50-c6b2-4334-8b2d-52e19b9f27f9

Dazu kommt der wenig bekannte Betrieb eines Instandhaltungszentrums für Großwaffengerät durch die Bundeswehr in Michalovce in der Slowakei, 35 km von Uschgorod in der Ukraine entfernt,

● Peter Steinmüller, „Panzerlieferungen an die Ukraine – Was der Leopard 2 bei Beweglichkeit, Panzerung und Kanone der Ukraine bieten kann“, VDI Nachrichten, 20. Jan 2023, https://www.vdi-nachrichten.com/wirtschaft/politik/was-der-leopard-2-bei-beweglichkeit-panzerung-und-kanone-der-ukraine-bieten-kann/

“Im slowakischen Michalovce betreibt die Bundeswehr für das an die Ukraine gelieferte Großgerät ein Instandhaltungszentrum mit einer Leichtbauhalle, in der sechs bis acht Großgeräte gleichzeitig gewartet werden können. Brigadegeneral Christian Freuding, der Leiter des Sonderstabes Ukraine im Verteidigungsministerium, schwärmte auf Youtube: Da entsteht eine richtige kleine Stadt.’“

Da entsteht eine richtige kleine Stadt.“ Man freut sich ja mit den Generälen. Nur mit parlamentarischer Kontrolle sollte man hier nicht rechnen. Zum Glück sind wir keine Kriegspartei.

Dazu kommen weiteren Leistungen, wie z.B. Ausbildung,

● Julia Klaus, „Lieferung von Panzerhaubitzen: So werden Ukrainer in Deutschland ausgebildet“, ZDF, 06.05.2022, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ukraine-soldaten-ausbildung-deutschland-krieg-100.html

Inwieweit Deutschland an der elektronischen und optischen Feindaufklärung und der täglichen Lagebeobachtung beteiligt ist, und ob Deutschland die ukrainische Armee mit Lagebildern versorgt, ist nicht bekannt.

Man kann juristisch darüber streiten, ob Deutschland Kriegspartei ist,

● Deutscher Bundestag, „Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme“, Wiss. Dienst, 2022, https://www.bundestag.de/resource/blob/892384/d9b4c174ae0e0af275b8f42b143b2308/WD-2-019-22-pdf-data.pdf

Aber, über 200 Großwaffen mit Munition, 100.000 Handgranaten oder 22 Millionen Schuss Handwaffenmunition sind Realität. Das ging in der Diskussion zu den 14 Leopard-2 Panzern etwas unter, zusammen mit der Frage, was denn aus den bisherigen Waffenlieferungen an die Ukraine geworden ist, z.B. den 250 Panzern, die Polen geliefert hatte,

● Antoinette Radford, “Tanks for Ukraine: Polish PM urges German bravery on Leopard 2 decision”, BBC, 24.01.2023, https://www.bbc.com/news/world-europe-64385210

Poland has already sent about 250 Soviet era T-72 tanks to Ukraine.”

Diese Panzer gibt es vermutlich nicht mehr. Die Frage der Perspektive hat sich in der der Diskussion zu den 14 Leopard-2 Panzern wohl nicht gestellt.

Zu den deutschen Waffenlieferungen kommen die Lieferungen anderer NATO Länder, vor allem der USA. Hier Russland täglich davon zu überzeugen, dass es sich nicht in einem Krieg mit der NATO befindet, dürfte einige Arbeit erfordern.

Die Liste der Staaten, die Waffen an die Ukraine liefern, ist lang. Es ist nicht ganz einfach eine genaue Liste zusammenzustellen, wer, welche Waffen und Munition, in welcher Stückzahl bislang an die Ukraine geliefert hat.

Zu den Panzer-Lieferungen an die Ukraine,

● Brendan Cole, “Full List of NATO Countries Sending Tanks to Ukraine”, Newsweek, 25.01.2023, https://www.newsweek.com/russia-ukraine-leopard-tanks-germany-nato-scholz-putin-zelensky-1776426

Here is a list of the countries which have so far pledged tanks to Ukraine, or are reportedly considering to do so, Germany, Finland (not in NATO), Poland, Portugal, Spain, Netherlands, Denmark, Norway, United States, Czech Republic, Bulgaria, United Kingdom, France

Zu der Lieferungen von Panzern und weiteren Waffen an die Ukraine,

● David Brown, Jake Horton, Tural Ahmedzade, “Ukraine weapons: What tanks and other equipment are the world giving?”, BBC, 26.01.2023, https://www.bbc.com/news/world-europe-62002218

Germany: Leopard2 tanks
UK: Challenger2 tanks
Poland: 200+ T-72 tanks
Czech Republic: T-72 tanks
USA: 90 Stryker armoured fighting vehicle, 59 Bradley infantry fighting vehicles, Patriot missile system, Nasams (National Advanced Surface-to-Air Missile System), M142 Himars (High Mobility Artillery Rocket System), Advanced M777 howitzers
Slovakia: S-300 air defence system
UK: Starstreak air defence systems, Nlaw anti-tank weapon
Australia: Advanced M777 howitzers
Canada: Advanced M777 howitzers
Turkey: Bayraktar TB2 armed drones”

Die USA haben bislang (unter anderem) folgende Waffen an die Ukraine geliefert, ohne Kriegspartei zu sein,

● Charles R. Davis, “List: All the weapons and ammunition provided to Ukraine by the US after Russia’s invasion”, Business Insider, Jan 1, 2023, https://www.businessinsider.com/ukraine-weapons-ammunition-america-provided-russia-invasion-list-2022-12?international=true&r=US&IR=T

Over 1,600 Stinger anti-aircraft systems
Over 8,500 Javelin anti-armor systems
Over 46,000 other anti-armor systems and munitions
142 155mm Howitzers and up to 1,004,000 155mm artillery rounds
4,200 precision-guided 155mm artillery rounds
9,000 155mm rounds of Remote Anti-Armor Mine (RAAM) Systems
36 105mm Howitzers and 180,000 105mm artillery rounds
276 Tactical Vehicles to tow weapons
22 Tactical Vehicles to recover equipment
38 High Mobility Artillery Rocket Systems and ammunition
20 120mm mortar systems and 135,000 120mm mortar rounds
1,500 Tube-Launched, Optically-Tracked, Wire-Guided (TOW) missiles
Eight National Advanced Surface-to-Air Missile Systems (NASAMS) and munitions
Missiles for HAWK air defense systems
20 Mi-17 helicopters
45 T-72B tanks
Over 1,000 High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicles (HMMWVs)
Over 11,000 grenade launchers and small arms
Over 104,000,000 rounds of small arms ammunition
Laser-guided rocket systems
Two harpoon coastal defense systems
58 coastal and riverine patrol boats
M18A1 Claymore anti-personnel munitions
C-4 explosives, demolition munitions, and demolition equipment for obstacle clearing”

Dazu kommt weitere Ausrüstung und Geräte. Siehe auch,

Fact Sheet on U.S. Security Assistance to Ukraine”, US Gov Defense, Jan 20, 2023, https://media.defense.gov/2023/Jan/19/2003147181/-1/-1/1/UKRAINE-FACT-SHEET-JAN-19.PDF

Dazu kommen demnächst, wann ist nicht ganz klar, 31 M1A2 Abrams Kampfpanzer,

● Geoff Earle, “We don’t have enough tanks to send to Ukraine, Pentagon admits: Biden’s promise to send 31 Abrams could take up to a YEAR – because the US has to buy more”, Daily Mail, 26 January 2023, updated 27 January 2023, https://www.dailymail.co.uk/news/article-11681549/Bidens-promise-send-31-Abrams-YEAR-buy-more.html

Man kann festhalten, dass von den USA bis zu 1 Mio. Artilleriegranaten („up to 1,004,000 155mm artillery rounds“) bereitgestellt werden, ohne dass es in Deutschland eine öffentliche Aufforderung der Bundesregierung zu Verhandlungen gibt.

Ebenfalls steht fest, dass die deutschen Waffen und die Munition geliefert wurden, ohne sich die Frage zu stellen, wie man denn aus dieser menschlichen Katastrophe wieder herauskommt. Das überlässt man allein den Kriegsparteien.

● „Generalsekretär im “Frühstart” Kühnert: Krim-Befreiung mithilfe deutscher Panzer legitim“, n-tv, 27.01.2023, https://www.n-tv.de/politik/Kuehnert-Krim-Befreiung-mithilfe-deutscher-Panzer-legitim-article23874241.html

Zur Frage nach der Dauer deutscher Waffenhilfe verwies Kühnert auf den Bundeskanzler. Er betone immer wieder, die Ukraine so lange zu unterstützen, wie es notwendig sei. “Ihre Kriegsziele definiert die Ukraine selbst und damit auch die Frage, wann ein Moment sein kann, an dem man sich zu Verhandlungen zusammensetzt.”“

Vereinzelt gibt es kritische Stimmen auf Landesebene, z.B. Michael Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen. Aber Herr Kretschmer hat schon viel gesagt, z.B. zur Impfpflicht.

● „Ukraine-Krieg Kretschmer kritisiert Panzerlieferungen“, MDR Sachsen, 26. Januar 2023, https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/politik/kretschmer-ukraine-waffen-panzer-lieferung-debatte-kritik-100.html

Die obigen Zahlen sind objektiv überprüfbar. Alles was darüber hinausgeht, ist schwierig. Vieles unterliegt der Geheimhaltung.

So ist z.B. die Aussage des ehemaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr General a.D. Harald Kujat nicht überprüfbar, dass der damalige britische Premierminister Boris Johnson im April 2022 aktiv die Unterzeichnung eines Friedensvertrages verhindert hat, vgl.

● Thomas Kaiser, „Gespräch mit General a. D. Harald Kujat – „Je länger der Krieg dauert, desto größer wird das Risiko einer Ausweitung oder Eskalation““, Overton, 20. Januar 2023, https://overton-magazin.de/top-story/je-laenger-der-krieg-dauert-desto-groesser-wird-das-risiko-einer-ausweitung-oder-eskalation/

Nach zuverlässigen Informationen hat der damalige britische Premierminister Boris Johnson am 9. April [2022] in Kiew interveniert und eine Unterzeichnung verhindert. Seine Begründung war, der Westen sei für ein Kriegsende nicht bereit.“

Man wird sicherlich nicht oberster Soldat in Deutschland, wenn man leichtfertig mit Verdächtigungen um sich schmeißt. Aber wenn es nicht in der FAZ oder der SZ steht, wird es in Deutschland nicht wahrgenommen.

Zu den Istanbuler Verhandlungen auf die sich Herr Kujat bezieht vgl.,

● „Verhandlungen in Istanbul – Offenbar Bewegung in russisch-ukrainischen Friedensgesprächen“, MDR AKTUELL, 29. März 2022, https://www.mdr.de/nachrichten/welt/ukraine-russland-krieg-verhandlungen-istanbul-100.html

Und zu der Haltung von Boris Johnson,

● Niklaus Nuspliger, „Boris Johnson inszeniert sich als Selenskis treuster Verbündeter“, NZZ, 12.04.2022, https://www.nzz.ch/international/grossbritannien-boris-johnson-harte-haltung-im-ukraine-krieg-ld.1678745?reduced=true

Objektiv steht fest, dass es derzeit keine Friedensverhandlungen gibt. Man wundert sich, dass kein hochrangiger Vertreter der deutschen Bundesregierung solche fordert.

Man wundert sich auch, dass es keine Diskussion zu den Abkommen von Minsk aus 2014 gibt, für die Angela Merkel Anfang 2015 noch gelobt worden war. Das damals erklärte Ziel war es, den Ukraine-Konflikt friedlich zu lösen.

● Dietmar Neuerer, „Angela Merkel und der Gipfel von Minsk – Der Aufstieg der Kanzlerin in die Weltdiplomatie“, Handelsblatt, 12.02.2015, https://www.handelsblatt.com/politik/international/angela-merkel-und-der-gipfel-von-minsk-der-aufstieg-der-kanzlerin-in-die-weltdiplomatie/11365174.html

Dank Angela Merkels Einsatz und ihrer angsteinflößenden Kondition gibt es Bewegung in der Ukraine-Krise. Erwächst daraus ein dauerhafter Frieden, wäre die Kanzlerin künftig bei der Lösung schwieriger Konflikte gefragt.“

Kürzlich hat Frau Merkel in einem Interview mit DIE ZEIT und DER SPIEGEL darauf hingewiesen, dass der eigentliche Zweck der Abkommen gewesen sei, Zeit für eine Bewaffnung der Ukraine zu gewinnen,

● Tina Hildebrandt und Giovanni di Lorenzo, „Interview mit Angela Merkel: “Hatten Sie gedacht, ich komme mit Pferdeschwanz?”“, Die Zeit, 7.12.2023, https://web.archive.org/web/20221207133725/https://www.zeit.de/2022/51/angela-merkel-russland-fluechtlingskrise-bundeskanzler/komplettansicht

Angela Merkel:

[…] Und das Minsker Abkommen 2014 war der Versuch, der Ukraine Zeit zu geben.

[Anm. d. Red.: Unter dem Minsker Abkommen versteht man eine Reihe von Vereinbarungen für die selbst ernannten Republiken Donezk und Luhansk, die sich unter russischem Einfluss von der Ukraine losgesagt hatten. Ziel war, über einen Waffenstillstand Zeit zu gewinnen, um später zu einem Frieden zwischen Russland und der Ukraine zu kommen.]

Sie hat diese Zeit hat auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sieht. Die Ukraine von 2014/15 ist nicht die Ukraine von heute. Wie man am Kampf um Debalzewe (Eisenbahnerstadt im Donbass, Oblast Donezk, d. Red.) Anfang 2015 gesehen hat, hätte Putin sie damals leicht überrennen können. Und ich bezweifle sehr, dass die Nato-Staaten damals so viel hätten tun können wie heute, um der Ukraine zu helfen.“

Vgl. dazu auch folgende Ausführungen,

● Ulrich Heyden, „Mythos Merkel zerplatzt: „Friedenskanzlerin“ bekennt, dass Minsker Abkommen nur ein Trick war“, Nachdenkseiten, 12. Dezember 2022, https://www.nachdenkseiten.de/?p=91458

Der ehemalige französische Präsident François Hollande bestätigt die Aussagen von Frau Merkel in einem Interview mit The Kyiv Independent,

● Theo Prouvost, “Hollande: ‘There will only be a way out of the conflict when Russia fails on the ground’”, The Kyiv Independent, December 28, 2022, https://kyivindependent.com/national/hollande-there-will-only-be-a-way-out-of-the-conflict-when-russia-fails-on-the-ground

The Kyiv Independent: In an interview with the German newspaper Die Zeit, Angela Merkel said about the Minsk protocols that ‘It was obvious that the conflict was going to be frozen, that the problem was not solved, but it just gave Ukraine precious time.’

Do you also believe that the negotiations in Minsk were intended to delay Russian advances in Ukraine?

François Hollande: Yes, Angela Merkel is right on this point.

The Minsk agreements stopped the Russian offensive for a while. What was very important was to know how the West would use this respite to prevent any further Russian attempts.”

Wär es nicht opportun gewesen, sich die Frage zu stellen, ob man mit der Aufrüstung der Ukraine nicht genau das getan hat, was Russland am meisten gefürchtet hat? Wenn Russland die Ukraine in 2014 hätte überrennen können, warum hat Russland das nicht einfach getan? Ist die Ukraine ein Beispiel dafür, dass Aufrüstung keinen Frieden schafft? Eine öffentliche Diskussion dazu, insbesondere im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, fehlt derzeit.

Hat es dem Geist des Minsker Abkommens entsprochen, die Ukraine in 2016 an einem Großmanöver der NATO, Anakonda 16, in Polen teilnehmen zu lassen? Die Teilnahme ist von NATO Offiziellen seinerzeit kritisiert worden, vgl.

● Anna Kröning, „Ausland „Anakonda 2016“ – Russland reagiert gereizt auf Großmanöver in Polen“, Welt, 07.06.2016, https://www.welt.de/politik/ausland/article156020378/Russland-reagiert-gereizt-auf-Grossmanoever-in-Polen.html

Zuvor hätten einige Alliierte massive Bedenken angemeldet, sagten Nato-Offizielle der „Tagesschau“. Nicht wegen der Teilnahme von Nicht-Nato-Staaten, sondern auch deshalb, weil Länder wie Georgien und die Ukraine dabei sind.“

Und auch Verteidigungsexperten warnen vor russischen Reaktionen: „Jedes noch so kleine Missgeschick, das die Russen missverstehen oder sich entscheiden falsch zu deuten, könnte eine Offensive auslösen“, sagte ein Verteidigungsexperte in der europäischen Botschaft in Warschau der britischen Zeitung „The Guardian“. Dies könne zu einem „Alptraum-Szenario“ führen.“

Das „Alptraum-Szenario“ hat man jetzt. Was lernen wir daraus?

Was mit Sicherheit gesagt werden kann, ist, dass die Einlassungen von Frau Merkel und Herrn Hollande im Dezember 2022 wenig geeignet sind, das notwendige Vertrauen zu schaffen, um am Verhandlungstisch zu einer friedlichen Lösung des Ukraine-Konfliktes zu kommen.

Bislang sind alle modernen Kriege, bis auf die Katastrophen des 1. und 2. Weltkrieges, am Verhandlungstisch gelöst worden. Nach einem 3. Weltkrieg wird es nicht mehr viel geben, über das es sich lohnte zu verhandeln.

Fast hofft man, dass sich am Ende die monetären Interessen durchsetzen und wir zu den gewohnten Heucheleien der deutschen Politik zurückkehren,

● Liudmila Kotlyarova, Harald Neuber, „Kommt unser LNG auch aus Russland? Bundesregierung kann das nicht ausschließen“, BZ, 17.01.2023, https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/energie-krise-fluessigerdgas-kommt-unser-lng-auch-aus-russland-bundesregierung-kann-das-nicht-ausschliessen-li.307898

● William Wilkes, “German Energy Reprieve Too Little, Too Late to Save Factory Jobs”, Bloomberg, February 4, 2023, https://www.bloomberg.com/news/articles/2023-02-04/german-energy-reprieve-too-little-too-late-to-save-factory-jobs

Companies including BASF SE, Dow Inc. and Lanxess AG are poised to cut thousands of jobs and shift investment out of Germany because they don’t expect Berlin to reliably provide the energy they need at prices close to those they once paid for Russian pipeline gas.”

Frieden schaffen mit schweren Waffen“. Mit Fassungslosigkeit schaut man auf die Ruinen der Grünen und der SPD und den neuen Militarismus à la Strack-Zimmermann in Deutschland. Wie erleichtert waren alle gewesen, als mit Michail Gorbatschow in den 1980er Jahren Perestroika und Glasnost einsetzten. Die derzeitigen Abgeordneten im Deutschen Bundestag scheinen sich daran gar nicht mehr zu erinnern.

Wer „Frieden schaffen ohne Waffen“ die Plausibilität abspricht, der übersieht, dass diese Diskussion in Deutschland immer erst dann geführt wird, wenn wir schon wieder im Krieg sind. Es war seit 2014 Zeit, diese Katastrophe zu verhindern. Stattdessen hat man die Ukraine aufgerüstet und stellt sich jetzt, nachdem der Krieg da ist, hin und erklärt, dass es gut sei, dass man aufgerüstet habe. Diese perverse Logik kann nur zu weiteren Eskalationen und einer Verschärfung und Ausweitung der Krise führen. Es ist einfach im warmen Fernsehstudio in Deutschland von der mutmaßlichen Verteidigung von Freiheit und Gerechtigkeit in der Ukraine zu reden und sich über den richtigen Zeitpunkt für Verhandlungen auszulassen, wenn den täglichen Preis dafür andere zahlen müssen, nämlich die Menschen in der Ukraine. Niemand fragt die Bewohner der betroffenen Regionen, oder die Soldaten dort, ob sie nicht für sofortige Verhandlungen sind. Wer Verhandlungen anmahnt, der wird in die Putin-Ecke gestellt. Wer aber Verhandlungen verzögert, der tut dies auf dem Rücken der täglichen Opfer.

Wir waren alle zu sorglos und haben uns zu sehr darauf verlassen, dass, wenn die Tagesschau nichts berichtet, es eben nichts zu berichten gibt. 33 Jahre nach dem Mauerfall stehen wir vor den Trümmern der Entspannungspolitik von Willy Brandt und Hans-Dietrich Genscher und der Albtraum geht von vorne los. Alle die sich für Frieden aussprechen sind „Putin-Versteher“ und jeder Depp kann sich jetzt als Sicherheitspolitiker aufspielen, wenn er oder sie nur mehr Waffen fordert. Es gibt in Deutschland nicht einmal ansatzweise eine Diskussion zu der Perspektive in der Ukraine, außer mehr Waffen zu liefern.

Deutschland verharrt in Sprachlosigkeit und einer medial vorgegebenen Einheitsmeinung, nach dem Motto „nur keine Schwäche gegenüber Putin zeigen“. Von einer kritischen Begleitung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in den deutschen Medien kann keine Rede sein. Das kennen wir von der Gesundheitspolitik der letzten 3 Jahre. Die berechtigte Aufmerksamkeit, die der Ukraine-Konflikt in den Medien erhält, wenn auch in sehr einseitiger Darstellung, ist der kurzfristigen Aufarbeitung des COVID -Maßnahmen-Debakels nicht förderlich, wird sie aber längerfristig nicht verhindern können. Nach 3 Jahren verfehlter Gesundheitspolitik stand das kleinlaute Eingeständnis, dass man früher hätte nachdenken müssen. Leider sitzen jetzt wieder dieselben Typen mit den Patentrezepten in den Talkshows und die deutschen Journalisten sind weiterhin des kritischen Nachfragens nicht fähig. Die Fehler, die man in der COVID Berichterstattung gemacht hat, wiederholen sich gerade in der Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt.

Da muss man inzwischen auch mal nach den Ursachen fragen.

Statt einer kritischen Begleitung der Regierung gibt es fliegende Wechsel zwischen der Tätigkeit als öffentlich-rechtlicher Journalist und der Tätigkeit als Sprecher von Mitgliedern der Bundesregierung. Beispiele sind Steffen Seibert (Regierungssprecher unter der ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und seit August 2022 Botschafter in Israel) und Michael Stempfle (Pressesprecher des amtierenden Verteidigungsministers Boris Pistorius). Der Vorgänger von Steffen Seibert als Regierungssprecher, Ulrich Wilhelm, wurde dann Intendant des Bayerischen Rundfunks.

Das ist einer Demokratie unwürdig. Eine mediale Einheitsmeinung rechtfertigt sich auch nicht dadurch, dass ausländische Oligarchien gegeneinander Krieg führen und man eine geschlossene Front zeigen möchte. Kriege gibt es leider permanent auf der Welt, wie auch die zahlreichen Auslandseinsätze der Bundeswehr in den letzten 20 Jahren zeigen.

In großem Umfang, deutlich mehr als 14 Panzer, Waffen in ein Kriegsgebiet zu schicken (einschließlich Servicezentrum) und nicht einmal die Frage nach der Perspektive zu stellen, sogar es explizit den Kriegsparteien zu überlassen, wann sie beginnen zu verhandeln, das ist viel zu wenig. Bislang findet sich niemand, der das im deutschen Fernsehen einmal ausspricht.